Wir lagen vor Moissac
von Isabella Falk (Kommentare: 1)
-- und hatten Corona an Board
Nein, natürlich nicht wirklich – aber im Augenblick haben wir ja irgendwie alle Corona, auch wenn – zum Glück – die wenigsten von uns infiziert sind. Für alle, die uns in den letzten Tagen gefragt haben, wie es uns geht – es geht uns gut. Wir haben gelernt, uns mit der Krise zu arrangieren, so wie ihr das wahrscheinlich alle auch gemacht habt. Bis es soweit kam hatten wir, zumindest jedoch ich, wahrscheinlich die 5 Phasen einer Krise lehrbuchmäßig durchgemacht. Dabei waren wir hier, im Südwesten von Frankreich, ohne Fernsehen und ohne deutsche Tageszeitungen wahrscheinlich deutlich später als Ihr. Wir haben auch kein Klo-Papier gehortet und das nicht nur, weil wir keinen Lagerplatz hätten. Hier gab es auch keine Hamsterkäufe. Bis zum 16. März. Aber jetzt hübsch der Reihe nach.
1 Phase: Nicht wahrhaben wollen
Auch wenn die ersten Anzeichen bereits im Dezember zu sehen gewesen wären, hatten wir da ganz andere Sorgen. Wir schlugen uns mit der streikenden französischen Bahn rum und versuchten irgendwie zu Weihnachten nach Saarbrücken zu kommen. Wenn ich mir überlege wie viele Verkehrsmittel wir für die Hin- und Rückreise genutzt haben. Wir fuhren mit der Mitfahrgelegenheit von BlaBlaCar, fuhren stundenlang mit dem Flixbus, mit dem Taxi, auf dem Rückweg wieder mit der Bahn und mit dem normalen Straßenbus. Nur zwei Wochen später flogen wir nach Marokko.
Das Wort Corona wanderte erst in unseren Sprachgebrauch, als wir am 11. Februar wieder nach Moissac kamen und unsere Marokko Geschichten alle erzählt hatten. Zu dem Zeitpunkt war das für uns etwas, das in China passierte und über das ich einfach nicht nachdenken wollte. Das hat übrigens in vielen Fällen schon geholfen. Ich sage nur SARS, Ebola…. Es hat immer andere getroffen. Und wenn ich auch „betroffen“ war, wenn ich die Zahlen und Bilder im Fernsehen sah, sind wir doch mal ganz ehrlich, wie sehr hat es unser Leben beeinträchtigt, dass in Afrika zehntausende an Ebola gestorben sind?
Nun, wir saßen also noch Anfang März mit unserer kleinen Schicksalsgemeinschaft, bestehend aus zwei Amerikanern, zwei Engländern und einem Australier, in der örtlichen Kneipe und orderten noch einen Halben Roten, ehe wir zu unseren Schiffen zurückgingen – mit einem unguten Gefühl irgendwo hinter dem Zwerchfell. Knapp eine Stunde später rief uns Adrians Freundin aus England an und bat uns ihm dabei zu helfen, am kommenden Dienstag nach Hause zu fliegen – die Lage sei zu ernst.
Karl und ich machten unser Boot trotzdem fertig. Denn die Abfahrt war für den kommenden Samstag geplant
2 Phase: Zorn
Und wir lassen uns doch schließlich von so einem Scheißvirus unseren langgehegten und geplanten Traum nicht verderben. 18 Jahre haben wir gespart, nicht um jetzt hier, wo wir den ganzen Winter waren, auch den Sommer zu verbringen. So schnell kommt man in die Phase 2. Dort blieben wir den restlichen Samstag. Abends aßen wir mit Adrian zusammen, sprachen mit seiner Freundin via Skype und realisierten, dass wir nicht fahren werden. Zumindest nicht so lange Adrian nicht sicher in England ist.
3 Phase Verhandeln
Die dritte Phase ist etwas speziell. Schließlich kann ich weder mit Macron noch mit dem Virus verhandeln. Aber in dem Begriff steckt das Wort handeln – und genau das ist es, was ich zumindest für mich ab Samstagabend begriffen hatte. Ich wollte das Heft wieder selbst in die Hand nehmen. Entscheiden, statt Entscheidungen aufgedrückt zu bekommen.
Gleichzeitig übereilten sich die Ereignisse. Montags wurde der Kanal geschlossen, Macron kündigte seine zweite Rede für den Montagabend an. In Anbetracht der Tatsache, dass Adrian, der über ein Auto verfügt, ab Dienstag weg sein würde, wollten wir am Montag noch einmal einkaufen gehen. Wir waren nicht die Einzigen! Die Geschäfte waren so voller Menschen, dass wir erst beim dritten Anlauf überhaupt einen Laden fanden, den wir betreten konnten und wollten. Zum ersten Mal zog ich Handschuhe an, griff mir einen Einkaufswagen und schob ihn vorbei an halbleeren und leeren Regalen. Die nächste Station war das LIDL. Dort gab es – so gut wie nichts mehr! Leere Regale, soweit das Auge reicht. Das einzige Fleisch, 2 x 600 Gramm Gulasch. Keine TK-Ware, keine Konserven, kein Mehl, keine Milchprodukte…. Nichts. Wenn die Franzosen die ganze Zeit vollkommen relaxt waren, gab es an diesem Montag Panikkäufe in allen Supermärkten. Ich schnappte mir die 2 Pakete Gulasch, die ich gar nicht brauchte, bezahlte und eilte zurück zum Boot. An diesem Abend hatten wir drei ein wirklich gutes Dinner, am nächsten Tag aßen wir Gulasch mit Nudeln – und ich habe noch ein Glas eingeweckt.
4 Phase Depression
18 Jahre gespart und jetzt liegen wir wer weiß wie lange hier fest, die Wirtschaft geht den Bach runter, wir werden vielleicht krank, sterben, können unser Boot nie mehr verkaufen, werden keine Miete für die Wohnung mehr bekommen. Ich habe keine Arbeit mehr, keine Einkünfte … werde ich je wieder die Füße auf den Boden bekommen? All das ist richtig, lässt sich aber mit grübeln nicht verändern. Also versuche ich das, was ich gut kann. Ich versuche zu handeln. Versuche die Situation für mich zu begreifen und das beste daraus zu machen. Was das alles ist, erzähle ich in den nächsten Tagen…
Ja – Ihr habt es erraten, auch das ist ein Teil meiner Aktivität gegen die Depression und auf dem Weg zur Akzeptanz. Ich möchte jetzt tatsächlich die Zeit nutzen und täglich schreiben…..
Wenn Ihr auf dem gleichen Weg seid, lasst es uns gemeinsam angehen.
Kommentare
Kommentar von L'americaine |
But if we hadn't gotten stuck in Moissac, then we would not have gotten to know you and Karl so well, and we would've missed our Corona happy hours and our evening Petanque. So I am grateful for all of that.
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